Die Nachlese

der letzten OFENENEN LESEBÜHNEN BRÜCKEN_RAUM

 

Offene Lesebühne „BRÜCKEN-RAUM“ Elmshorn

zu Gast in der VHS Elmshorn am Donnerstag, 02.03. 2023

 

Die Offene Lesebühne „BRÜCKEN-RAUM“ Elmshorn hatte für den 2. März 2023 zu einer Gastlesung in die „smarte Aula der Volkshochschule Elmshorn“, wie es das Organisationsteam im Einladungsschreiben formulierte, geladen.

Gleich beim Eintreffen begrüßt uns die Leiterin der VHS, Frau Bünning, sehr herzlich, sodass wir uns in diesem wirklich schmucken Parkettsaal sofort heimisch fühlen.

 

Nach und nach treffen bis 19.00 Uhr Zuhörer und lesewillige AutorenInnen ein. Artur Hermanni greift in die Tasten und intoniert wie gewohnt souverän schwungvoll einstimmende Melodien – und das heute abend sogar auf dem in der Aula bereitstehenden Flügel, nicht wie sonst auf seinem elektrischen Clavichord. 

Nina Bürgener eröffnet den Leseabend mit zugewandten Begrüßungsworten. Sie stellt schalkhaft fest, dass sich für die Leseplätze heute tatsächlich eine Überzahl Männer angemeldet hätten … was für leises Schmunzeln im Saal sorgt.

Und schon ruft Nina den ersten Autor ans Mikrofon.

 

Martin Musiol liest in Fortführung seiner lose zusammenhängenden biografischen Erinnerungen eine weitere Episode aus seiner Zeit als Zivildienstleistender in den 1970er-Jahren auf einer Pflegestation im Altenheim vor. (Heute spricht man von „Seniorenresidenzen“ ...) Eine bedrückende Geschichte mit dem Titel „Die Spritze alle 14 Tage“.

In einem 7-Bett-Zimmer (!) liegen sieben alte Männer, die ihr Bett nicht mehr verlassen können und also rundum der Pflege bedürfen. Einer der Männer, den Martin Herr Sievers nennt, zeigt sich abweisend und nahezu apathisch. Er wirkt eher wie eine Frau als wie ein Mann, schreibt Martin. Alle 14 Tage nun erscheint eine Ärztin zur Visite und man munkelt, dass der Herr Sievers bei dieser Gelegenheit stets eine Hormonspritze erhielte … und dass das Tostesteron ihn dann eigenartig verwandelt bzw. seine Lebensgeister beflügelt: Den Pfleger Martin hält er für eine Frau und zeigt sich auch sonst dem weiblichen Pflegepersonal gegenüber sehr zugeneigt, soll heißen: übergriffig. Für ca. eine Woche erwachen seine sexuellen Gelüste zu vermeintlich lange erloschener Begehrlichkeit. Dann ist ebenso plötzlich alles wieder vorbei und der Herr Sievers sinkt erschlafft zurück in sein Schweigen in apathischer Bettengruft.

 

Die ungeschnörkelt in nüchternen Sätzen berichtete Geschichte ruft im Publikum leise Beklommenheit hervor und Martin erläutert mit einigen zusätzlichen Hinweisen die Situation in Altersheimen, wie er sie damals in den 70er-Jahren eben erlebt hatte. Auch für ihn sei das erschütternd gewesen. Für seine offene Darstellung und den in die Geschichte feinfühlig eingestreuten Humor erhält Martin anerkennenden Beifall.

 

Auf den Leseplatz begibt sich nun Stephan Pinkwart, den Nina als Poetry-Slam-Redner ankündigt. Er sei zum erstenmal Gast der Lesebühne, nachdem er erst kürzlich nach Elmshorn gezogen sei, schickt er seinem Vortrag voran.

Mit kraftvoller Stimme hält er eine beeindruckende Rede über die Kraft und Wirkung von klaren Worten und Sätzen, die ein Redner vor großem Publikum ausspricht. „Mit einem Satz kannst du die Menschen verändern“, schmettert er in den Saal und man sieht manchen Zuhörer beifällig nicken.

 

Nach seiner nicht allzu langen Poetry-Slam-Rede bringt Nina die Essenz nochmals treffend auf den Punkt: Stephan Pinkwart hat uns die Macht des gesprochenen Wortes vor Augen und Ohren geführt. Wie wahr!

Es gibt ordentlich Beifall.  

Nun setzt sich Marion Sell, eine schon mehrfach mit Beiträgen in der Lesebühne präsente Hobby-Autorin, die auch Mitglied in der Schreibgruppe „Federhalter“ sei, wie sie sagt, hinter das Mikrofon. Sie liest ihre Kurzgeschichte „Work-Life-Balance“.

Es ist die makabre Erzählung von einem Auftragsmörder, der seinen „Job“, wie er seine grausige Arbeit in der Geschichte nennt, inzwischen als allzu monoton empfindet und in der Folge davon unter Burnout zu leiden meint.

Es folgt die ziemlich detaillierte Schilderung eines Auftragsmordes, den der Mann erledigt: Mit einer Armbrust erschießt er sein Opfer, auf das er lange im Regen unter einer Plane hockend gewartet hat. Anschließend schwingt er sich auf sein Motorrad und fährt zu seiner Mutter nach Hause. Die tischt ihm wohlschmeckende „Donauwellen“ auf. Sie fragt ihn, wie es auf seiner Arbeit heute gegangen sei. Er antwortet nur: „Ich glaube, ich leide an einer Jobdepression.“ Die Mutter zeigt bedauerndes Verständnis. Sie hat ganz offensichtlich  keine Ahnung von der Art der Arbeit ihres Sohnes …

Und genau hier endet diese in trockener, geradezu unbeteilgt nüchtern daherkommender Sprache abgefasste Geschichte von Marion Sell. Ein irgendwie beunruhigendes Ende.

 

Im Publikum herrscht einige Momente beklommenes Schweigen und da und dort hört man ein leises Aufstöhnen. Nina versteht es aber sofort, die Geschichte als literarische Arbeit einzuordnen. Es gibt daraufhin wie befreit klingenden Beifall.

 

Und dann packt Joszi Sorokowski seine Gitarre aus, setzt sein Mundharmonika-Headset auf und nimmt vor dem Publikum Platz. Zum wiederholten Male ist er bei uns in der Offenen Lesebühne dabei und trägt seine nachdenklich stimmenden Lieder vor. Er sagt, dass er gern in der Offenen Lesebühne auftritt, weil er hier neue Lieder ausprobiert, die er dann später zusammen mit seiner Partnerin bei Gefallen an anderen Orten erneut zu Gehör bringt. Texte seien für ihn weitaus schwerer zu schreiben, als geeignete Liedmelodien zu komponieren, sagt er. Endlich von einer Schreibblockade wieder befreit, präsentiert Joszi heute nun zwei neue Lieder, die das Thema „Trennung“ aufgreifen.

 

Im ersten Songtext besingt er die letzte Zusammenkunft eines Paares, das sich nach der nun leider gescheiterten Beziehung voneinander endgültig verabschiedet. Trotz aller Leidenschaft in ihrer Paarbeziehung blieb darin letztlich jeder irgendwie für sich und mit sich allein … singt Joszi. Ein bisschen traurig klingt das schon, aber nicht resigniert. Es ist der Lauf des Lebens, wie er nicht so selten ist.

 

Das zweite Lied handelt vom Abschied des erwachsen gewordenen Kindes aus der elterlichen Umgebung. In einer letzten Begegnung nimmt man voneinander Abschied „… Was ich dir noch sagen wollte, bevor du gehst … dreh' dich nicht um, schau nicht zurück – nur nach vorne dein Blick, du musst einfach weitergehen … die Welt ist eine große, weite Wiese und du läufst da hinein und jeder Grashalm gehört nur dir allein … unsere Zeit war wunderschön, das bleibt bestehn – und du musst weitergehn …“ singt Joszi mit emphatischer Stimme. Es ist kein trauriger Abschied, der da besungen ist, ein zwar schmerzlicher Abschied, der ja aber die Zukunft im Blick hat, die dem jungen Menschen offensteht. Ein ermutigendes Lied also!

 

Nach der Pause ruft Artur mit Klavierklängen alle wieder auf die Plätze zurück. Er singt sein Lied von der „Apokalypse now … alles Wissen darum hat uns nichts gebracht, weil kein Handeln ist danach … was du wirklich brauchst … was kann ein Mann schon tun, das bringt doch nichts … du als einzelner brauchst keine Berge zu versetzen, denn du bist nicht allein …“ so einige Textzeilensplitter aus dem Lied.

 

Als erste Autorin in der „zweiten Halbzeit“ ruft Nina Christina Altenburg-Knappe auf den Vorleseplatz. Sie trägt ein Gedicht und eine Kurzgeschichte vor.

 

In dem Gedicht geht es um einen schweren Autounfall auf der Landstraße, bei dem sich mehrere Fahrzeuge ineinander verkeilen … Mit dem lakonischen Schlusssatz „Aber der Verkehr rollt vorbei – schnell, unaufhaltsam“ beschließt sie ihr Gedicht.

Die Kurzgeschichte „Winter im Torfmoor“ erzählt von der Suche nach im winterlichen Moor  verschwundenen Kindern. Zuerst macht sich eine Frau, die Mutter der Kinder, auf die Suche nach ihrem Mann, der im Torfmoor unterwegs sein wollte und zu lange ausbleibt. Bei einem Nachbarehepaar, wo sie ihn vermutet, erfährt sie aber, dass der Nachbar zusammen mit ihrem Mann nun im schneebedeckten Moor unterwegs ist, um nach den dort vermissten Kindern zu forschen. - Nun, die Geschichte geht gut aus: Nach langer Wartezeit der Frauen im Nachbarhaus kehren Männer und Kinder aus dem Wintermoor zwar durchgefroren, aber ansonsten heil und unverletzt zurück.

Christina kennt man schon in unserer Lesebühne als Autorin anderer Geschichten, die meist nicht gut, sondern tragisch ausgegangen sind – insofern ist das heute also eine überraschende, neue Variante gewesen, die Christina uns vorgelesen hat. Es gibt freundlichen Beifall.

 

Hinter das Mikrofon am Lesetisch setzt sich Reinhold Szews. Er trägt unter dem Titel „Die Sache mit der Ampel“ eine seiner hintergründig-humorgetränkten Geschichten vor, in der sich ein recht skurriler Dialog zwischen einem gewissen Richard und seinem Malerfreund Hermann entspinnt. Über die merkwürdige Betrachtung von Zeitungen und ihrer Lektüre geht es zur nicht weniger verblüffenden Betrachtung von Verkehrsampeln und der Übertragung ihres Farbspektrum rot-gelb-grün auf die Farben politischer Parteien der Ampelkoalition. Von Satz zu Satz nimmt das Grinsen und Schmunzeln über Reinholds seltsame Gedankenspiele zu, hinter denen sich allerlei Politikerschelte ausmachen lässt – wenn man es denn so verstehen will. Man kann aber auch einfach nur herzhaft ein bisschen lachen. Im Saal klatscht man angeregt erheitert.

 

Den Schluss macht die Moderatorin Nina Bürgener selbst mit einer kurzen „Kindheitserinnerung“, in der sie von ihren Gefühlen als ein „Engel im Schnee“ erzählt, die sie an einem hellen Wintertag auf einer schneebdeckten Wiese vor einem kindlich unverstandenen Fels eines Kriegerdenkmals anwandeln. Mit ihren Ärmchen breitet sie engelsgleiche Flügelschattenspiele über Schnee und Fels …

 

Eine anrührende Kindheitserinnerung, mit der Nina die milde lächelnden Besucher in den Abend auf den Heimweg entlässt.

 

 

(Nachlese: Reinhold Szews)

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Offene Lesebühne BRÜCKEN-RAUM am Sonntag, 15.01.2023

Zum zweitenmal war die Offene Lesebühne BRÜCKEN-RAUM heute zu Gast in Uetersen im Offenen Treffpunkt, Kleine Twiete 72. Dieses Mal treffen sich alle Hör- und Lesewilligen zur Matinee am Sonntagmorgen um 11.00 Uhr bzw. ab 10.30 zur Leseplatzanmeldung. Alle Stühle sind rasch besetzt, erwartungsvoll lauscht das Publikum. Artur Hermanni leitet mit besinnlich-nostalgischen Melodien aus früheren Jahrzehnten die Matinee ein. Nina Bürgener begrüßt als Moderatorin mit leicht angerauhter 'Restinfektstimme' (ohne Ansteckungsgefahr!) und der verschmitzten Anmerkung, „dass zur Zeit ja gerade jeder schon auffalle, der gesund sei“, die volle Hütte. Und kündigt den ersten Lesebeitrag an. Christina Altenburg-Knappe, die schon wiederholt eine Kurzgeschichte vorgetragen hat, macht heute den Anfang. Sie liest ihre Kurzgeschichte „Besser spät als nie“. Die Geschichte entwickelt sich um drei Personen und einen Hund herum: Jutta, ihren alten Vater, ihren Hund Jamy und die tratschende Nachbarin Schwangold. Jutta stößt nolens volens beim Gassigehen mit Jamy auf die schwatzhafte Frau Schwangold, die sie nicht abschütteln kann. Bei Rückkehr vom Ausführen des Hundes wird der alte, demente Vater Juttas aus dem Krankenhaus zurück in ihre gemeinsame Wohnung gebracht. Nachdem Jutta ihm ein Frühstück serviert hat, klingelt die Frau Schwangold aber unvermutet schon wieder an der Tür. Als Jutta öffnet, kracht es laut und die beiden Frauen finden den gestürzten Vater Juttas, der sie, seine Tochter, für seine verstorbene Frau ansieht, auf dem Boden liegen mit gebrochenem Bein. Er muss erneut ins Krankenhaus eingeliefert werden. Frau Schwangold, die das alles mit ansieht, kommt über der aufoperungsvollen Fürsorge Juttas für ihren dementen Vater, der nun doch ins Pflegeheim muss, wo schon zum Glück ein Platz frei ist, sehr ins Nachdenken über ihre Einschätzung bzw. ihre oft auch nachtragend-hässliche Nachrede über die Nachbarschaft. Und sie nimmt sich vor, künftig anders zu sprechen und ihr Verhalten zu ändern. Einen Moment schweigen die Zuhörer, atmen dann erlöst durch die glückliche Wendung am Schluss auf und geben ihrer Anerkennung mit Beifall beredten Ausdruck. Finja Stoldt, eine junge Masterstudentin der Geowissenschaft an der Universität Hamburg, die zum allerersten mal vor Publikum liest, wie sie sagt, setzt sich nun an den Vorleseplatz. Sie liest aus ihrem gerade erst im September 2022 erschienenen Buch Sekandert – Königliches Blut (Hybrid Verlag) einige Absätze aus dem 1. Kapitel vor, betitelt: Der Ring, Kralle. Kralle ist offenbar ein junger Mann, der in einem zerstörten Unterstadtviertel durch Ruinen streift, auf der Suche nach einem gestohlenen, kostbaren Ring … man erfährt in den vorgelesenen Absätzen nicht, um welche Stadt es sich in welchem Land handelt, sondern kann Finja nur staunend in die mit plastischer Sprache eindringlich vor Augen heraufbeschworenen Bilder der Ruinenstadt folgen, immer weiter hinein in die 'dramatische Fantasy um Macht und Magie, Blut und Ehre, Erfolg und Verlust' … wie auf dem Buchcover zu lesen steht. Diesem, ihrem ersten Buch, das nicht weniger als gute 500 Seiten umfasst (!), sollen zwei Fortsetzungsbände folgen, von denen der zweite bereits geschrieben ist … Alle Zuhörer sind sich einig, dass man von dieser jungen Autorin noch hören möge in näherer Zukunft. Die junge Frau kann schreiben! Kann faszinierende Bilder aus Buchzeilen wachsen lassen! - Hat in der Lesebühne da vielleicht eine Entdeckung stattgefunden? Auf Platz drei in der Reihenfolge der Vorleser wird nun Reinhold Szews von Nina angekündigt. Er liest eine Kurzgeschichte vor: Alles wie üblich eben !? Er nimmt darin 'scharf beobachtetes Alltagsgeschehen aus der Komfort-Rentner-Blase' in Blick … In dem sich entwickelnden Gespräch zwischen drei älteren Rentnerherren aus der offenbar gut situierten oberen Mittelschicht geht es um Weihnachtsbaumentsorgung, Klimaschutz und KlimaprotestlerInnen, die sich öffentlich festkleben, deren kalkuliert treffende Formulierungen sich nicht in Kurzfassung wiedergeben lassen – man muss die Geschichte schon im Ganzen lesen bzw. hören … Reinhold hat wieder eine nicht selten glucksende Auflacher provozierende Geschichte mit ernsthaftem Subtext zu Gehör gebracht, die viel Beifall erhält. Nach der Pause, in die Artur mit leiser Musik hinüberleitet, ruft Nina den Leseplatz Nr. 4 auf: Katrin Spitzer liest von Roswitha Gott, einer 34-jährigen, etwas pummeligen Kitaleiterin ohne eigene Kinder und ohne PartnerIn. Roswitha trinkt ein wenig viel Alkoholisches, hat allzu viel zu tun wie z.B. Keksebacken für den 1. Advent, kümmert sich aber auch um andere Menschen, wie um ihre alte Nachbarin im Haus, die Frau Poschmann, der sie einen Topf Hühnerfrikassee bringt … auf dem Weg zu ihrer Kita denkt sie über sich und ihre allzu vollen Tage nach, sagt sich aber, dass sie mit ihrem Leben doch eigentlich zufrieden sein sollte … in der Kita geht es tubulent zu. Roswitha ist für 15 Kinder und eine Auszubildende Tiffany – die als der 'perfekte Fluch der Karibik' durchgehen kann – verantwortlich … nach einiger Zeit sitzt sie erschöpft von der intensiven 'Betreuung' der Kinder und der Tiffany auf der Fensterbank. Tiffany kommt und beruhigt sie, sagt, sie möge mal auf sich aufpassen, damit sie nicht noch den Burnout kriegt … Roswitha geht beim Nachhausegehen durch den Kopf: Selbst wenn ihr heute noch der Traumprinz über den Weg liefe, sie wüßte gar nicht, wie sie ihn einplanen sollte. Womit die Geschichte, diese wie aus dem wahren Leben gegriffene Geschichte, von Katrin Spitzer endet. Viel Beifall wird gespendet. Dann setzt sich Martin Musiol auf den Vorleseplatz. Er hat heute eine erschütternde, tiefernste Schilderung mitgebracht, die von seiner Zeit 1970/1971 als Zivildienstleister auf der „Siechenstation“, wie damals die Bezeichnung für die 'letzte Staion vor dem Sterben' war, in einem Altenheim handelte. Er begegnete da dem Tod. Und er berichtet, dass er damals kleine Artikel über dies und das an eine Zeitung verfasst hatte, die auch gedruckt worden seien – meistens. Ein Artikel aber, und den werde er vorlesen, sei nie gedruckt worden. Überschrieben war er: Mord im Altersheim. Dieser Artikel handelt davon, dass Martin Kenntnis davon erlangte, wie man mit alten Leuten im Heim verfuhr, wie man sie mit allzu hohen Dosen Beruhigungsmitteln ruhig stellte … damals war das so. An einem Fall, den er direkt verwundert beobachten musste, führte das wenige Tage nach Ankommen eines ihm nicht besonders hinfällig erscheinenden alten Mannes im Heim zu dessen unvermutetem Ableben … ob das nun 'Mord' genannt werden muss oder 'Fahrlsässigkeit mit Todesfolge' – Martin wirft heute die Frage auf und lässt sie dahingestellt. Im Anschluss herrscht zunächst betroffenes, ernstes Schweigen im Publikum. Nina findet die richtigen Worte zur Einordnung des Gehörten, man nickt und es herrscht Zustimmung, dass auch solch erschütternde Geschichten ihren Platz in unserer Offenen Lesebühne haben dürfen, ja, haben sollen. Und es folgt Sabine Kück mit einer ebenfalls sehr berührenden, ernsten Reflexion ihrer Erinnerungen an die eigene Kindheit, die nicht einfach gewesen ist. Es tauchen Bilder von der Flucht der Eltern, der Verwandten nach dem Kriegsgeschehen auf, die ihre Spuren in den Seelen der Menschen hinterlassen hat, so tiefe Spuren, dass davon noch die Kinderseelen getroffen werden, von denen keine direkt etwas davon erlebt hat – eine „Erblast“ liegt darauf, die kaum abzuschütteln ist. Sie kann nur eingehegt werden, kann behutsam 'durchfragt' werden, damit man mit ihr leben kann. Wieder schweigen alle im Saal. Und wieder greift das Verstehen Platz, die Einsicht in die Bedeutung des Aussprechens bzw. Aufschreibens solcher persönlicher Bedrängnisse. Dem Mut, damit heute öffentlich aufzutreten, zollen alle anerkennenden Beifall. Chrstoph Plautz tritt nun auf. Mit einem Hunderteuroschein in der Hand wedelnd geht er vor dem Publikum auf und ab und trägt dabei auswendig (stabgereimte) 'Verse' / Sätze über die ungleiche Verteilung der Geldmengen in den Gesellschaften der Erde vor. Eine Milliarde aus Hunderteuroscheinen stapeln sich zum Beispiel übereinander zu einem 1 Km (!) hohen Papierturm … man hört nachdenklich zu im Publikum. Christoph setzt sich dann ans Klavier, greift gekonnt in die Tasten und singt vom „Ende des Kapitalismus“ … nun, die nachdenkenswerten, originell vorgetragenen, schon auch hochpolitischen, Inhalte gefallen dem Publikum, was Nina entsprechend treffend zu würdigen versteht nach dem Beifall. Und Nina Bürgener übernimmt mit einem fulminanten, in 'philosophische Tiefgründikeit' durchaus hier und da hineindriftenden Text über den 'Majestätsbegriff vom WELTFRIEDEN' den Schlusspunkt für die heutige Matinee. Ein zum Weiterdenken unbedingt anregender Schlusspunkt. Artur geleitet mit leise getragenen Klängen hinaus in den jetzt gerade zwar windigen, aber hellen Sonntagmittag. (für die Nachlese: Reinhold Szews)